Deine Berufung könnte genau dort liegen, wo der Schmerz über die derzeitigen Zustände für dich am größten ist!

Die Sehnsucht, die eigene Berufung zu finden und letztendlich auch zu leben, treibt immer mehr Menschen an, sich diesem Thema zu widmen. Vielen wird bewusst, dass es etwas anderes geben muss, als nur zu Arbeiten um zu Leben und so machen sie sich auf die Suche. Immer öfter werde ich in meinen Trainings oder auch in privaten Gesprächen mit der Frage konfrontiert: „Wo liegt meine Bestimmung?“

Die eigene Bestimmung zu entdecken ist keine leichte Aufgabe. In unserer Kindheit und Jugend wurde uns abtrainiert, den inneren Ruf zu hören, indem wir in das Einheitsraster unseres Schulsystems gepresst wurden. Entweder du warst in allen Fächern einigermaßen gut oder du warst verloren. Auf spezielle Talente oder Gaben wurde nur wenig Rücksicht genommen, geschweige denn wurden diese gefördert – außer sie passten eben in das Raster. Dies und noch andere Mechanismen haben dazu geführt, dass wir in vielen Fällen zunächst nicht in der Lage sind herauszufinden, wo unsere Bestimmung liegt. Und dieser Umstand kann zu echter Verzweiflung führen.

Einen Hinweis auf unsere Bestimmung können uns einerseits unsere Talente liefern, indem wir unsere ‚Gaben‘ als ‚Aufgaben‘ wahrnehmen lernen und diese der Welt zur Verfügung stellen. Das ist der eine Teil. Der Teil, bei dem es darum geht, was wir tun können. Es gibt aber noch andere Hinweise auf die eigene Bestimmung. Wenn wir bestimmte Dinge sehen, wie sie gerade sind und gleichzeitig eine Vision davon haben, wie sie sein könnten, entsteht in uns eine innere Spannung, ein Schmerz. Dieser Schmerz, den wir über die Differenz zwischen den Umständen, wie sie im Moment sind und wie sie sein könnten, empfinden, kann uns einerseits informieren, in welche Richtung unsere Lebensaufgabe gehen könnte, andererseits versorgt er uns mit der notwendigen Energie, um aktiv zu werden und die Umstände in unserem Leben so zu verändern, dass wir authentisch unserer Bestimmung dienen. So wird Schmerz zum Raketentreibstoff, um die eigene Bestimmung in Aktion zu werden.

Ein Beispiel:

Eine gute Freundin von mir war zum Essen in einem Lokal, in dem gerade eine Hochzeitsfeier stattfand. Alles war wunderschön und dem Anlass entsprechend arrangiert. Das Essen, die Dekoration, die Gäste, di Musik, das Brautpaar selbst und vor allem die Braut. Sie hatte ein traumhaftes Kleid an, das Make up und die Hochsteckfrisur waren sensationell. Meine Freundin genoss den Anblick dieser von Liebe und Schönheit strahlenden Hochzeitsgesellschaft. Zumindest so lange, bis die Braut aufstand und ein paar Schritte durch den Raum ging. Sie trug hohe Schuhe und war nicht gewohnt auf diesen zu laufen, so dass ihr ungeübter Gang und die Schmerzen, die ihr die Schuhe offensichtlich bereiteten, den Rest ihrer Erscheinung total überstrahlte. Darüber fühlte sich meine Freundin sehr traurig und dieser Schmerz breitete sich in ihrem kompletten Sein aus. Der Schmerz ließ sie aktiv werden. Heute gibt sie sehr erfolgreich Kurse für Frauen (und Männer) und bringt ihnen bei, auf hohen und niedrigen Absätzen elegant und gesund zu gehen. Ganz nebenbei vermittelt sie ihren Teilnehmern ein positives Körpergefühl, eine zentrierte Haltung und ein gesteigertes Selbstvertrauen. Mittlerweile hat sie ihre eigene Methode entwickelt. Sie strahlt das, was sie vermittelt, über jede Pore, jedes Wort, jede Geste aus. Sie ist ihre Bestimmung in Aktion.

Und das ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen dieser innere Schmerz die Richtung der eigenen Bestimmung vorgegeben und den Treibstoff für entsprechende Taten geliefert hat. Damit dies in unserem Leben passieren kann, gibt es mehrere Voraussetzungen.

1. Gefühle – es muss für uns in Ordnung sein, zu fühlen

Klingt erst mal trivial, ist es aber bei weitem nicht. In der Welt, aus der ich komme, waren Gefühle nicht in Ordnung. Wenn ich als Kind einen Wutanfall bekam, musste ich so lange in mein Zimmer gehen, bis ich mich wieder beruhigt habe. Wenn ich traurig war und geweint habe, hat man mir gesagt, es sei alles nicht so schlimm oder man hat mich mit ‚Heulsuse‘ beschimpft. Kommt Euch das bekannt vor? Wer von Euch wurde noch niemals als ‚Angsthase‘ bezeichnet? Unsere Sprache ist voll von Schimpfworten und Sprichwörtern, die alle nur eines bedeuten: „Gefühle sind etwas für Schwache!“. Dies hat in der Regel dazu geführt, dass wir unsere ‚Taubheitsschwelle‘ sehr hoch geschraubt haben. Wir haben jahrelang trainiert, nichts mehr zu fühlen. Da muss ein Gefühl schon ziemlich groß und übermächtig werden, dass der Deckel auf unserer Taubheitsschwelle abspringt und das Gefühl unkontrolliert aus uns herausbricht. Und dann schämen wir uns dafür oder man rät uns zu einer Therapie, um das wieder in den Griff zu bekommen.

Und es gibt für uns unzählige Möglichkeiten, um diese Taubheitsschwelle hoch zu halten und nichts zu fühlen. Wir müssen nur den Fernseher, das Radio oder den Computer anschalten. Oder so viel essen, bis wir uns kaum noch bewegen können. Auch Suchtmittel helfen gut gegen das Fühlen: Süßigkeiten, insbesondere Schokolade, Alkohol, Nikotin … oder eine ausgedehnte Shoppingtour. Was sind Eure bevorzugten Gefühlsdämpfer?

Mit einigen Unterscheidungen in Bezug auf Gefühle und mit einiger Übung (Gefühlsarbeit) ist es möglich, sich das Territorium der Gefühle wieder zurückzuerobern. Wir können wieder lernen zu fühlen und diese Gefühle professionell für unser Leben zu nutzen. Zum Beispiel dafür, uns von unserer Bestimmung ‚berühren‘ zu lassen. Den Schmerz – in Form von Wut, Traurigkeit, Angst und Freude – zu fühlen, der uns über die Richtung unserer Bestimmung informiert und uns das notwendige innere Brennen verleiht, um in Aktion zu treten.

2. Verantwortung – es ist notwendig, die volle Verantwortung zu übernehmen

In unserer Gesellschaft können wir mühelos ein ganzes Leben verbringen, ohne jemals erwachsen zu werden oder die volle Verantwortung für uns zu übernehmen. Ratet mal wie viele Menschen genau das tun! Es gibt keinen rituellen Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Es gibt keinen Ältestenrat, dem wir verdeutlichen müssen, welchen Beitrag wir leisten wollen und der dann entscheidet, ob wir in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen werden. Es gibt keine offizielle Quest, bei der wir unser Leben riskieren, um unsere Vision und unsere Medizin für die Gemeinschaft zu finden.

Dafür gibt es das Arbeitsamt und Stellenanzeigen in der Zeitung, es gibt ein Rentensystem und eine Absicherung für den Krankheitsfall, es gibt Vater Staat, der für uns aufkommt, wenn wir in Not geraten. Es gibt den vorgezeichneten Weg unserer Eltern: wir gehen zur Schule, dann machen wir eine Ausbildung, dann suchen wir uns einen guten Arbeitsplatz, machen ein- bis zweimal pro Jahr Urlaub, gründen vielleicht eine Familie und bauen ein Haus und irgendwann ist die ganze Schufterei vorbei und wir genießen das Leben als Rentner. Klingt doch toll, wer braucht da Bestimmung?

Es braucht Mut, einen anderen Weg zu gehen. Es braucht Mut, dem schönen Schein angeblicher Sicherheit zu widerstehen. Es braucht Mut, den Menschen im Umfeld zu widersprechen. Es gibt noch so wenige Vorbilder, denen wir folgen können. Und in Bezug auf unsere Bestimmung wird es niemals jemanden geben, der den Weg für uns bahnt – also können wir den Wunsch, jemandem zu folgen, getrost vergessen. Ihr geht den ersten Schritt und den nächsten und nächsten – in unbekanntes Gebiet. Wenn Ihr auf der Suche nach Eurer Bestimmung seid, fragt Euch, ob ihr wirklich dazu bereit seid? Seid Ihr bereit den vollen Preis zu bezahlen und die volle Verantwortung zu übernehmen? Was ist denn der Preis, den wir bezahlen, wenn wir Verantwortung übernehmen? Der Preis sind all die liebgewonnenen Geschichten und Ausreden, die wir bisher dafür benutzt haben, nicht in Aktion treten zu müssen, nicht unserer Bestimmung zu dienen, nicht unser volles Potenzial zu leben. All die Hintertürchen, die wir uns offen gelassen haben und all die Menschen und Situationen, die schuld daran sind, dass wir bisher keinen anderen Weg gehen konnten. In unserer Kultur wird Verantwortung immer noch gleich gesetzt mit Mühsal und Schuld. Wer will da schon freiwillig Verantwortung übernehmen?

Dumm nur, dass Bestimmung sich erst ab einem gewissen Grad von Verantwortung zeigt. Und Verantwortung zu übernehmen, heißt nicht, zu wissen wie es geht! „Wenn ich nur wüsste, was meine Bestimmung ist, dann könnte ich auch die Verantwortung dafür übernehmen.“ Wie oft höre ich diesen Satz? Forget it! Die Entscheidung kommt zuerst. Wir können Verantwortung übernehmen und eine Entscheidung treffen, ohne zu wissen wie es geht. Das ist eines der größten Geheimnisse in Bezug auf Bestimmung: sich zu verpflichten, bevor man weiß wie es geht. Sich zur Verfügung zu stellen, ohne einen ausgeklügelten Plan zu haben. Klingt ziemlich beängstigend – womit wir wieder bei den Gefühlen wären. Erwachsen und verantwortlich zu sein, heißt nicht, keine Angst zu fühlen. Es heißt, Angst zu fühlen und dennoch in Aktion zu treten, weil es etwas Wichtigeres gibt, als die Angst. Das ist Bestimmung in Aktion.

Vor kurzem wurde ich gefragt, wie viele meiner Klienten Ihre Berufung nach einem Berufungscoaching wirklich umsetzen. Es sind zu wenige für meinen Geschmack! Und es kommt darauf an! Nämlich unter anderem darauf, in wie weit die notwendigen Bedingungen bereits vorhanden sind. Ist der Boden bereit, auf dem der Samen der eigenen Berufung wachsen kann? Oftmals braucht es erst eine Initiation ins Erwachsensein in Form von Prozessen und Gefühlsarbeit, um die eigene Bestimmung wirklich in die Welt zu bringen.

Herzlichst,
Eure Patrizia

 

Nützliche Fragen:

  • Welche Umstände in der Welt, wie sie derzeit ist, oder in deinem Umfeld bereiten dir Schmerz/Wut/ Traurigkeit? Wo würdest du gerne etwas verändern, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?
  • Was sind deine bevorzugten Gefühls-Dämpfer, was tust du um nicht fühlen zu müssen?
  • Was sind deine Lieblings-Ausreden, um nicht für deine Bestimmung in Aktion treten zu müssen?
  • Wen machst du (unbewusst) dafür verantwortlich, dass dein Leben nicht in Richtung deiner Bestimmung läuft?