Wenn du Konflikte vermeiden willst, versuchst du das Leben zu vermeiden

Konflikte – wer mag sie schon? Da könnten wir doch gut und gerne darauf verzichten. Zumindest denken wir das oft, wenn Konflikte in unserem Leben am Horizont auftauchen. Warum muss das Leben so kompliziert sein? Können wir nicht einfach unsere Ruhe haben – in Harmonie sein? Und schon kommt wieder einer und macht uns das Leben schwer. Oder wir selber machen uns das Leben schwer durch Unzufriedenheit, die einen inneren Konflikt in uns auslöst. Und schon wird es wieder anstrengend. Das ist es zumindest, was wir über Konflikte gelernt haben. Sie sind anstrengend und gefährlich. Es gibt viel zu verlieren, wenn es zum Konflikt kommt: unseren Status, unsere Position, unsere Beziehung, unser Geld, usw. Im schlimmsten Fall – wenn der Konflikt total eskaliert – könnten wir sogar unser Leben verlieren. Grund genug also, um Konflikte möglichst zu vermeiden!

Ein weiterer Grund, warum wir Konflikte scheuen, ist, weil sie stark mit Gefühlen verbunden sind. Wut, Traurigkeit und Angst sind die ständigen Begleiter bzw. auch die Auslöser von Konflikten. Und wenn wir diese Gefühle als negativ bewerten, werden wir automatisch auch Konflikte als negativ bewerten und so gut wie möglich zu vermeiden versuchen. Wenn wir uns taub machen gegenüber unseren Gefühlen, werden wir gleichzeitig auch taub in Bezug auf Konflikte. Wir merken dann erst sehr spät, wenn ein Konflikt aufzieht. Manchmal ist ein Konflikt schon eskaliert, bis wir überhaupt merken, dass etwas nicht stimmt. Gleichzeitig ist unsere Fähigkeit, adäquat auf Konflikte zu reagieren wenig ausgeprägt. Das heißt die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir mit unseren automatischen Verhaltensmustern auf den eskalierenden Konflikt reagieren und es so tatsächlich zu Streit und Verhärtung kommt. Dies wiederum hält unsere negative Sichtweise auf Konflikte aufrecht – ein Teufelskreis.

Aber was sind Konflikte eigentlich wirklich? Zum Konflikt kommt es, wenn zwei scheinbar unvereinbare Sichtweisen, Meinungen, Ziele, Positionen oder ähnliches aufeinandertreffen. Dies kann zwischen mehreren Personen oder Personengruppen als äußerer Konflikt, aber auch innerhalb einer Person als innerer Konflikt stattfinden. Konflikte legen also offen: hier liegt eine Differenz, eine Unausgeglichenheit, eine Spannung zwischen zwei Polen vor! Punkt. Sonst nichts. Der Konflikt an sich ist also weder gut noch schlecht – er ist lediglich ein Indikator dafür, dass die Realität im Moment von unserer Vision oder unserer Optimalvorstellung abweicht. Der Konflikt informiert uns lediglich, dass es unter Umständen einer Veränderung bedarf.

Und die durch den Konflikt entstehenden Gefühle würden uns die entsprechende Handlungsenergie für diese Veränderung zur Verfügung stellen, wenn wir in der Lage sind, diese bewusst und verantwortlich zu benutzen. Die Wut könnten wir zum Beispiel im Konfliktfall dazu benutzen, Klarheit zu schaffen und Grenzen zu setzen. Die Traurigkeit könnten wir dafür benutzen, uns in unser Gegenüber einzufühlen und authentisch unsere Vision zu kommunizieren oder herauszufinden, was uns verbindet. Oder wir könnten die Traurigkeit auch dafür benutzen, um alte Gewohnheiten und Positionen loszulassen und uns der Veränderung zu öffnen. Die Angst im Konflikt könnte uns dafür dienen, vorsichtig vorzugehen und ungewöhnliche Lösungen zu finden, um den Konflikt zu lösen.

Selbst die Natur nutzt dieses Potenzial, das im Ausgleich eines ‚Konflikts‘ steckt, also im Ausgleich der Spannung zwischen zwei Zuständen oder zwei Polen. Denken wir nur mal an ein Gewitter, an den Vorgang der Osmose, die elektrische Stromerzeugung oder ganz einfach auch an den Prozess der Evolution von Lebewesen, der zu einer Anpassung an ein sich änderndes Umfeld führt. In der Harmonie selbst steckt keine Energie – erst die Spannung, die Differenz erzeugt die Notwendigkeit des Ausgleichs und damit die Energie zur Veränderung. Die Natur würde also niemals die Spannung vermeiden, sondern sie nutzt die in der Spannung enthaltene Energie für den Ausgleich. Der Konflikt entspricht also einem Naturgesetzt. Leben und Evolution ohne Spannung und Konflikt wäre also nicht möglich! Insofern sind Konflikte Katalysatoren für Evolution!

Wenn wir allerdings Konflikte vermeiden wollen und nicht wahrnehmen, stellen wir uns gegen das Leben und gegen die Evolution. Der Konflikt wird dann automatisch größer und eskaliert, weil die Evolution dann einfach eine größere Spannung und mehr Energie benötigt, um die notwendige Veränderung in Gang zu bringen. Dadurch bekommen Konflikte doch eine völlig andere Bedeutung, als die traditionelle Sichtweise, die uns konfliktscheu macht. Die Frage ist nur, wie wir mit Konflikten umgehen. Der erste Schritt ist in jedem Fall, unsere Perspektive auf Konflikte zu verändern:

 Konflikt – traditionelle Sichtweise

Konflikt – neue Sichtweise

= Gegeneinander kämpfen

= Katalysator für Evolution

Ist ein Problem

Wachstumschance

Ist unverantwortlich

Das Problem ist die Lösung

Man ist ohnmächtig, man kann nichts tun

schafft Gemeinsamkeit

Ist ein persönlicher Angriff

gibt Energie zum Handeln

Streit, Verhärtung

bedeutet Evolution

Sollte man nicht haben

ist das Salz in der Suppe

Angst vor Trennung/vor Verlust der Beziehung

lebendig, gehört zum Leben

bedeutet Scheitern

bringt Dinge weiter

ist negativ

Initiator von Veränderung

heißt, man hat es nicht im Griff

Raum zwischen zwei Zuständen

bringt Sand ins Getriebe

führt zu Entscheidungen

läuft unterschwellig ab, d.h. ist gefährlich

holt aus der Komfortzone heraus

beschädigt Beziehungen

weckt auf

führt zu Krieg

Indikator für Veränderungsnotwendigkeit

beinhaltet Eskalationspotenzial

Gewitter reinigt die Luft, bringt Klarheit

ist anstrengend

Natur nutzt die Spannung als Sprungbrett auf die nächste Ebene

Angst vor Schmerz und Zurückweisung

ist ein Prinzip

Angst zu verlieren

ist verantwortlich

ist ein Makel / eine Schwäche

bedeutet Kreativität

muss hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden

bringt Schöpferkraft

ist ein Tabu

aktiviert den Krieger in uns

ist unangenehm

sorgt für Entwicklung

Ohnmacht, Opfer

Eskalation bedeutet: mehr Energie für Veränderung

es geht um Recht haben

basiert auf Verteidigung von Positionen

ist boxgeneriert

 Der zweite Schritt besteht darin, dass wir lernen, unsere Gefühle wieder in Besitz zu nehmen, um sie bewusst und verantwortungsvoll nutzen zu können und um Konflikte konstruktiv in notwendige Veränderungsprozesse zu verwandeln. Und natürlich sind neue kommunikative Werkzeuge dafür sehr nützlich, um nicht immer in die Falle unserer automatischen kommunikativen Muster zu verfallen, die im Konfliktfall eher zu Streit und Verhärtung führen.

Derzeit tobt ein Konflikt zwischen der Natur und der modernen Gesellschaft, die immer noch an das Paradigma des unendlichen Wachstums glauben will. Ein Großteil der Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, verschließt ihre Augen vor diesem Konflikt, in der Hoffnung, er würde von selbst vorübergehen. Das wird nicht passieren! Im Gegenteil, je länger wir diesen Konflikt ignorieren, desto größer wird die Spannung und desto größer wird die Energie sein, welche die Evolution aufbringen muss, um die notwendige Veränderung in Gang zu bringen. Wenn dieser Konflikt irgendwann total eskaliert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir mit unserem Leben bezahlen.

Also, Augen auf und durch!

Herzlichst,
Eure Patrizia

 

Nützliche Fragen:

  • Was ist deine tiefe innere Haltung zu Konflikten? Bist du harmoniesüchtig?
  • Nimm ein großes Blatt und male eine Konfliktlandkarte deines aktuellen Lebens. In welchen Lebensbereichen schwelen Konflikte (im Außen oder in dir), die du lieber nicht wahrnehmen willst?
  • Welche Gefühle sind mit diesen versteckten Konflikten verbunden (Wut, Angst, Traurigkeit, Freude)?
  • Welche Möglichkeiten verbergen sich hinter diesen Konflikten? Welche Vision verfolgst du in diesen Bereichen? Male dir in den buntesten Farben aus, wie es für dich wäre, wenn diese Visionen Wirklichkeit werden würden.
  • Was glaubst du, wäre notwendig, um in Richtung dieser Visionen tätig zu werden?